Daniel Zimmermann | Bürgermeister der Stadt Monheim am Rhein

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Samstag | 19. November 2022 | 17:08 Uhr

Dynamisch geschwungene Säulen für eine Stadt in Bewegung

Tony Craggs jetzt eingeweihte Arbeit „Points of View“ ist in vielerlei Hinsicht ein echtes künstlerisches Statement

Der Künstler spricht durch sein Werk. Dieses geflügelte Wort bekam an diesem Samstag, 19. November 2022, eine ganz besondere Bedeutung. Denn bei der Einweihung seiner Skulpturengruppe „Points of View“ konnte Tony Cragg nicht selber sprechen – er musste mit einer dicken Erkältung in Wuppertal das Bett hüten. Umso wichtiger, dass Bürgermeister Daniel Zimmermann schon im Vorfeld den Kunsthistoriker Dr. Gerhard Finckh gebeten hatte, Werk und Künstler in Monheim am Rhein bei der Eröffnung vorzustellen.

„Für uns ist das ein großer Tag“, bekannte Monheims Stadtoberhaupt auf dem neu gestalteten Ingeborg-Friebe-Platz. „Denn wie langweilig würde dieser Platz ohne die ‚Points of View‘ wirken“, bekannte Zimmermann vor zahlreichen Gästen, die trotz des ersten richtig kalten Novembertags zur Einweihung gekommen waren. Natürlich hätte der Platz auch so seine Funktion. Man könne dort langlaufen. Aber erst der Akzent, den Craggs Skulpturen setzten, sorge für Dynamik und spiegele die Bewegung der Stadt in den drei Säulen wider. Viele Dinge im Stadtbild hätten einfach nur eine reine Funktion, erläuterte Monheims Bürgermeister. Da gäbe es Bushaltesten, Papierkörbe, Straßen und Wege. Alles sei darauf getrimmt, vor allem erstmal praktisch zu sein, zum Beispiel um schnell voranzukommen. „Und genau so funktioniert Kunst eben überhaupt nicht“, betonte Zimmermann. „Viele haben mich in den letzten Tagen gefragt: Was stellt das denn dar? Wozu ist das gut? Und die klare Antwort darauf ist: Das ist Kunst. Die muss zu nichts gut sein – und sie braucht vor allem auch keiner konkreten Funktion zu dienen, wie es etwa ein Papierkorb tut. Sie sollte höchstens schön oder auch einfach nur interessant sein und auf diesem Wege Freude bereiten.“ Und nirgendwo ist Kunst so für alle Mensch da, wie im öffentlichen Raum. Wo geht das besser, als in einer Innenstadt?

Zimmermann: „Wir wissen, dass das auch Widerstand erzeugt. Kunst regt immer wieder auch zu Diskussionen an. Manchmal auch zu hitzigen Debatten, wie wir es beim Monheimer Geysir erlebt haben – mit dem wir es ja sogar gleich dreimal ins Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler geschafft haben. Aber man muss es wohl so hinnehmen, dass es Menschen und Organisationen gibt, die nur das Praktische und das Funktionale in einer Stadt sehen wollen – denen das Verständnis und die Offenheit für Kunst und Kultur fehlen. Ich bin froh, dass wir in Monheim am Rhein in einer Stadt leben, in der das überwiegend anders funktioniert, eine Stadt, die so demokratisch und pluralistisch funktioniert, dass wir hier sehr viel Wert auf Vielfalt legen.“ Das gelte, so der Monheimer Bürgermeister, in ganz vielen Bereichen des Zusammenlebens. Aber es gelte eben auch besonders für die Kunst und die Kultur, der die Stadt den entsprechenden Raum und Stellenwert einräumt. Zimmermann: „Wir können als Monheimerinnen und Monheimer stolz darauf sein, dass ein solch internationaler Ausnahmekünstler wie Tony Cragg sich dazu entschieden hat, für uns zu arbeiten. Die ‚Points of View‘ sind eine Werkreihe. Es gibt durchaus auch Skulpturen ähnlicher Art in anderen Städten der Welt. Eine ähnliche Reihe wurde beispielsweise schon in den 90er-Jahren in Tokyo gestaltet. Aber diese ‚Points of View‘ hier bei uns sind einzigartig. Die gibt es tatsächlich nur in Monheim am Rhein. Tony Cragg hat das Werk in Form, Größe und Positionierung für genau diesen Ort geschaffen. Und diese drei dynamischen Säulen unterstreichen vielleicht auch nochmal besonders die Schnelligkeit, mit der sich unsere Stadt gerade entwickelt.“

Eine Vorlage, die auch der für seine äußerst gelungene Ansprache laut beklatschte Kunsthistoriker Dr. Gerhard Finckh aufnahm und der der Stadt und ihren Bürgerinnen und Bürger zunächst gratulierte: „Ich kann Sie nur beglückwünschen. Was Sie hier in den letzten Jahren an Kunst im öffentlichen Raum realisiert haben, ist schon sensationell. Und doch würde ich Tony Cragg sogar noch als einen Höhepunkt hervorheben wollen.“ Er selbst wohne in Benrath, berichtete Finckh. „Da ist es auch schön. Aber die Skulpturen, die Sie hier haben, fehlen mir. Deshalb komme ich immer wieder gerne in Ihre Stadt – um mal einfach gut essen zu gehen, und um die Kunst zu genießen, die Sie hier inzwischen im Stadtbild platziert haben. Und so wie mir wird es in Zukunft wohl immer mehr Menschen gehen.“

Tony Cragg sei momentan tatsächlich einer der berühmtesten Künstler, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt, ordnete Finck ein. Wie die Beatles – ebenfalls Weltkünstler – stamme auch er aus Liverpool. Doch seine Schaffenszeit währt deutlich länger. Finckh: „Cragg erzählt uns seit rund 50 Jahren immer wieder etwas Neues über uns, unsere Gesellschaft und unsere Umwelt.“ Die Natur spielt dabei von Beginn an eine große Rolle. Aufgrund eines Engagements an der Kunstakademie in Düsseldorf zog es den jungen Tony Cragg einst der Liebe wegen und der günstigeren Möglichkeit für große Atelierräume ins nahe Wuppertal, wo er schon in den 70er-Jahren begann, aus an den Ufern der Wupper, dem Rhein oder dem Meer angeschwemmten Materialien Kunst in Form bunter Reliefs zu gestalten, die große Aufmerksamkeit erfuhren. Es war die Frühzeit des beginnenden Umweltbewusstseins. Und Tony Cragg war einer der ersten Künstler, der diesen aufkommenden Zeitgeist in seiner Kunst zu verarbeiteten begann. Und dass er dabei den Puls an der Zeit hat, beweist er bis heute.

„Der durch Tony Cragg in den letzten 15 Jahren aufgebaute Skulpturenpark in Wuppertal ist einer der schönsten Flecke in Nordrhein-Westfalen – abgesehen von Monheim natürlich“, schwärmte Finckh mit einem halben Augenzwinkern. Daneben hat Cragg immer wieder Ausstellungen im Pariser Louvre, in London, Sydney und Tokyo realisiert. Finckh: „Er hat quasi alle großen Preise dieser Welt abgeräumt, wurde in seiner Heimat zum Ritter geschlagen. Und es gibt kaum eine große Stadt auf der Welt, die keinen Tony Cragg hat. Sie haben tatsächlich einen Weltkünstler für Ihre vergleichsweise dann doch eher kleine Stadt gewinnen können.“

Doch auch der Kunsthistoriker weiß: „Natürlich gibt es Skeptiker, die Fragen stellen, á la ‚Was sollen wir denn jetzt mit den drei Stelen? Hätte es nicht auch eine getan? Die sehen einander doch sogar recht ähnlich. Da hätten wir sparen können.‘“ Und er versuchte einzuordnen. Seit der Antike gäbe es Säulen – oft mit dem Kopf eines Königs oder Kaisers darauf. Es waren als Solitäre eher Symbole der Macht, vor denen sich die Menschen zu verneigen hatten – nicht selten auch aufgestellt von Diktatoren. Das könne in Monheim kaum gemeint sein, so Finckh. „Bei zwei Säulen hätten Sie immer irgendwie ein eher starres gegenüber gehabt“, erläuterte der promovierte Kunsthistoriker. „Ein Ja und ein Nein. Einen Mann und eine Frau. Tag und Nacht. Richtig und Falsch.“ In einer solchen Aufstellung hätte mindestens eine Art Polarität, vielleicht sogar eine Konfrontation gelegen. Finckh: „Drei Säulen bieten da einfach viel mehr. Das ist Mann und Frau – und ja, divers. Ein Ja, ein Nein und ein Vielleicht. Mit drei Standpunkten kommt mehr Offenheit in die Sache.“ Auch unsere Demokratie basiere auf drei Säulen – der Legislative, der Judikative und der Exekutive. Warum dann aber kein Stab, sondern dieses Geschwungene? Ganz einfach, so Finckh. Je nachdem wie man sich bewege und auf die ‚Points of View‘ schaue, sehe man Köpfe und beginne Profile in den Säulen zu erkennen. Figuren und Menschen würden sichtbar. Menschen, die in einer Demokratie leben. Finckh: „Das sind wir. Und diese drei Säulen symbolisieren damit nicht nur abstrakt unser Staatsgebilde, sondern sie demonstrieren eine lebendige, eine menschliche Demokratie. Sie sind ein Sinnbild für uns alle.“ Und damit hätte die drei Säulen an dieser Stelle eben auch doch einen gewissen Sinn.

Die Dynamik der Stadt Monheim am Rhein zeige sich in Monheims neuer Mitte in relativ starren, modernen Gebäuden mit eher harten, klaren Fassaden. Erst die Menschen, die zwischen den Gebäuden hindurchgingen brächten die Dynamik, so Gerhard Finckh. „Und genau deswegen sind auch die drei Figuren so dynamisch. Sie repräsentieren die Monheimerinnen und Monheimer, die hier vor Ort etwas bewegen. Sie haben hier also ein wunderbares Sinnbild für eine gelebte dynamische Demokratie. Und wenn Sie überlegen, dass das hier der Ingeborg-Friebe-Platz ist, dann müsste doch mindestens allen ortkundigen Menschen klar sein, worum es an dieser Stelle geht. Hier geht es um die demokratische Unabhängigkeit. Ingeborg Friebe war die Monheimer Bürgermeisterin, die Monheim am Rhein wieder aus dem Stadtverbund mit Düsseldorf herausgelöst hat – manche sagen befreit. Sie war die entscheidende Person, die dieses Wunder von Monheim, dass Sie hier gerade erleben, überhaupt erst möglich gemacht hat. Sie war es, die es ermöglicht hat, dass Sie heute einen Teil Ihrer Gewerbesteuereinnahmen in der eigenen Stadt behalten, dass Sie hier mit ihrem Geld selber etwas anfangen können und das wunderschöne Monheim am Rhein zu einem Zentrum für ein lebendiges Zusammenleben und eine lebendige Demokratie mit ebenso wundervollen wie zugänglichen Kunstwerken entwickeln können – zu einem Anziehungspunkt für die ganze Region.“

Und auch der Meister selbst, der am Freitag, wenn auch bereits gesundheitlich leicht angeschlagen, noch zu einem Vorabtermin mit der Presse nach Monheim am Rhein gekommen war, hatte möglichen Kritikerinnen und Kritikern, die es im Fall von Kunst selbst bei Weltkünstlern nun einmal immer gibt, ein paar kluge Worte entgegenzusetzen: „Wenn Sie über Musik reden, habe Sie eine andere Lebensqualität. Wenn Sie mit dem Auge Dinge betrachten können, und über Ihre Beobachtung einen Gedankenprozess ableiten können, dann haben Sie ein viel reicheres und ein viel schöneres Leben“, unterstrich Tony Cragg bei seinem Besuch in dieser Woche. „Und genau das ist es, was Kultur leisten kann. Kunst ist nicht funktionell, aber sie hat eben doch einen Zweck, nämlich dann, wenn sie etwas in den Köpfen der Menschen bewirkt.“ Monheim Mitte wird zu einem Erlebnisort entwickelt, der die Köpfe der Menschen positiv inspirieren soll. Die „Points of View“ von Tony Cragg sind ein weiterer geschwungener Beitrag dazu.

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